
Weihnachtsmann? Nikolaus? Osterhase? – Irgendwann – meist im Kindesalter, früher oder später – brechen diese liebgewordenen Illusionsfiguren gnadenlos weg. Da helfen dem armen Kinde auch keine Engel mehr. Da stürzen Fantasiewelten brutal ein . . .
Wann geschah das in meinem Frühleben? Wohl ungefähr zu der Zeit, als sich hinter meiner Stirn die allererste politische Erkenntnis formte, die da kurz und bündig lautete: ADENAUER ist DEUTSCHER! – OLLENHAUER ist RUSSE! [. . . und den Weihnachtsmann gibt's gar nicht!]
Wie ich diese Erkenntnis über die damals führenden Köpfe von CDU und SPD in der Mitte der 1950-er Jahre gewonnen habe?
Keine Ahnung! Vielleicht lag’s am etwa zeitgleichen Verlust des Weihnachtsmanns.
Ich glaube nicht, dass ich mich [mit 4] an den Kanzlerwahlkampf 1953 erinnere – an den folgenden, vier Jahre später, schon. Inzwischen ist das alte Dampfradio mit dem leuchtenden Grün des magischen Auges mein bester [technischer] Freund. Da bekomme ich sicher was mit. Aber es sind vor allem die Wahlpropaganda aus "fahrenden" Lautsprechern und das Werbematerial der Parteien. Und dann gibt es in den 1950-ern in unserer Wohnbaracke nebenan noch die geschwätzigen Leute der "Schröder-Family", die auch gerne ihre Weisheiten ans Ohr bringen . . . ihr ewig kläffender Kleinköter namens Wally ist mir am liebsten. Wenn ich dem zurufe: FIET KOMMT! – sind die krummen wie kurzen Beine schon im Schweinsgalopp den langen Patt unterwegs zur Straße . . . meist kommt Wally irgendwann zurück, ohne Fiet!
Die SPD denkt sich 1957 diesen Slogan aus: "Alles im Eimer!" [womit die Politik des ersten Kanzlers Adenauer gemeint ist]. Zu meiner Freude gibt's zum "Eimer" jede Menge Pappe . . . ausgestanzte Eimerchen, auf dem dieser Slogan der SPD dann sozusagen an meinem ausgestreckten Zeigefingerchen baumeln kann . . .
und ich habe damals viele von diesen Eimerchen, die ungefähr Postkartenformat haben . . . und wenn sie nicht im Ofen sind, dann baumeln sie noch heute [im Internet, dachte ich jetzt – da findet man vieles aus der Zeit, leider bin ich erfolglos, was die Baumel-Eimer betrifft].
Ist auch egal – die Eimer haben nix genützt. Die CDU holt 1957 die absolute Mehrheit . . .
Extremer Themensprung!! NIKOLAUS – aus den frühen Erzählungen meiner Mutter höre ich in meiner Frühzeit manch Männernamen: Otto, Heinz, Emil, Ludwig, Heini, Georg, Christian . . . Nikolaus ist nicht darunter . . .
Ich muss erst 70 werden, um herauszufinden, dass es in diesem Amtsgebäude zu Falkenburg [Gemeinde Ganderkesee, Landkreis Oldenburg, Foto 2021] vor ungefähr 200 Jahren einen Dienstboten gibt, der Nicolaus heißt! Und der hat sogar einen Bart!! Ja, hinten im Nachnamen! RUBART heißt er . . . sein oberster Dienstherr ist der Großherzog von Oldenburg.
Kennenlernen konnte ich diesen Vorfahren nie – er stirbt 85 Jahre vor meiner Geburt. Er selber hat Kinder, eines davon wird durch eine abenteuerliche Geschichte meine Ururgroßmutter, deren Namen ich zwar bereits 2014 auf einer englischen Internetseite entdecke, den ich aber in meiner Familie zuvor nie gehört habe: Anna Margarete Casparine Rubart – sie könnte, ja was? Ich frage mehrere erfahrene Forscherkollegen. Ohne Ergebnis.
Ich erkenne keine Vorfahrenlücke, wo diese Frau hinpassen könnte. Die damalige Datenfülle ist auch eher spärlich.
Vier Jahre später habe ich endlich Zugang zu den Kirchenbüchern meines Geburtsortes – und finde diesen Namen als Einheirat in die Linie meiner Mutter. Und damit beginnen sich die genealogischen Nebel nach und nach zu lichten . . . [es ist erstaunlich, was einem die alten Kirchenbücher erzählen, wenn man den "roten Faden" endlich aufnehmen kann].
Diese Facette der Familiengeschichte ist über Generationen tabu. Von meiner Mutter höre ich, dass ihr Großvater in London geboren wird – der wörtliche Zusatz lautet: "Die [seine Eltern] mussten weg!" Das weiß ich bereits als Kind und kann damit eigentlich nichts anfangen. Aber mehr erfahre ich dazu nicht.
Als erwachsener Mann ist der Lieblings-Großvater meiner Mutter angesehener und gut betuchter Bürger, der auch in wichtigen Funktionen des örtlichen Gemeinderats jahrelang mitwirkt. Das spielt sich überwiegend noch in der Kaiserzeit ab, als der gute Ruf eine große Rolle spielt.
Seine Mutter wird auf einem der kleinsten Dörfer der Umgebung schwanger. Jeder weiß hier über jeden alles [fast alles]. Anna Margarete Casparine ist verheiratet und hat bereits eine Tochter. Der Ehemann ist Bauer und Gastwirt in diesem Nest, wohl in eher tristem Milieu. Vielleicht ist er selber an den Fässern sein bester Gast und bemerkt nicht, dass ein anderer buhlt . . . der ist jünger, vielleicht auch attraktiver, möglicherweise sogar Knecht hier auf dem Hof oder in der Umgebung.
Irgendwann wird der Ehemann – Schnaps hin oder her – den Braten riechen. Also, klar: DIE MÜSSEN WEG!
Wir ahnen ja bereits die Richtung des Fluchtweges der Untreuen und ihres erfolgreichen Casanova – vermutlich geht es mit der schwangeren Ehebruchfrau auf's Schiff . . . weit weg, scheint die Devise zu lauten.
Mein Wissen darüber ist schmal und der nächste Fund kann weiterhelfen. Ich bediene mich des Suchens auch bei Ancestry – 2014 sind die „dürren“ Daten ein Zufallsfund, inzwischen zahle ich eine Gebühr und kann tiefer in die Suche einsteigen.
Am 8. März 1863 wird der unehelich geborene Sohn getauft, da ist er bereits fünf Monate alt. Der Taufstein steht in der alten Kirche
St. Stephan the Martyr in Marylebone, Avenue Road, London. Die Kirche existiert heute nicht mehr. Den Taufeintrag im Kirchenbuch kann ich als Scan runterladen. Es passt alles, was ich dort lese – und staune zugleich: "Bleiben die jetzt in London? Lottogewinn? Oder was?"
Bis ich die Erklärung finde, dauert's noch.
Inzwischen bekomme ich heraus, dass die Geburt wohl im Norden des heutigen London stattfindet [Oktober 1862, fünf Monate vor der Taufe], im Stadtteil Enfield. Die Taufkirche ist als Ort sicherlich etwas spannender – Jahrzehnte später wird, eine Parallelstraße weiter, ein Zebrastreifen, quasi über Nacht, weltberühmt. Zwischen der Abbey Road und ihren berühmten Musikstudios und der Avenue Road, an der damals die Kirche steht, liegen nur ein paar hundert Meter . . .
Irgendwann finde ich dann noch dieses Detail: Zwei Schwestern sind zeitgleich schwanger. Die eine "legal", die andere "naja" – die eine wohnt mit ihrem Ehemann in London, die andere schläft dort wohl „als Flüchtling“ mit ihrem "naja" im Gästebett.
Innerhalb von drei Wochen sind die deutschen Rubart-Schwestern nahe der Themse Mütter neugeborener Söhne . . . der Schwager und Gastgeber meiner Ururgroßmutter wird als Hausdecorateur im Königreich England bezeichnet. Diese ebenfalls aus Deutschland stammende Familie lebt dort bereits länger – im Aufschwung des viktorianischen Zeitalters kann man mit dem Einrichten und dem Dekorieren von Häusern der gut betuchten Schichten wohl sein finanzielles Auskommen haben.
Letztendlich wird die untreue Ehefrau vom Lande gerichtlich geschieden. 1865 wird sie an der Seite ihres Liebhabers in meiner späteren Heimatkirche am Zwischenahner Meer getraut. Bis 1900 haben sie sich einander lieb, bevor der Ehemann Witwer wird. Damit beginnt schon bald die nächste „Familiengeschichte“, bei der sich mir schon wieder die Nackenhaare sträuben – und diese andere Geschichte könnte ich, vorbei an England, bis an den Mississippi-River in Iowa [USA], erzählen . . .
Nur kurz angerissen, für die ganz hartnäckigen Leseratten:
Der Witwer, inzwischen Mitte Sechzig, geht wohl schon bald auf Brautschau [Fund im Kirchenbuch, wieder auf einem kleinen Dorf, weiter weg, was ich erst später „verstehe“]. Blutjung ist sie auch noch und gehört [aha! Daher weht der Wind!] zum angeheirateten Verwandtenkreis seiner Tante Anna, einer Schwester seines Vaters. Ach herjee, seufzt ungläubig der Ahnenforscher . . .
Tante Annas Tochter und deren zweijährige Enkelin Anna Maria wandern nach Iowa aus [1882]. Die "Kleine" wird später am großen Mississippi-Strom Mutter von 12 [!!] Kindern und heißt Bohlen [Dieter darf sich entspannen!]. Deren Kinder sind jetzt, sofern noch lebend, in meinem Alter. Und es ist klar, da ist jede Menge Verwandtschaft. Mary-Ann zum Beispiel, die ich bei Facebook kenne. Eine ihrer Schwestern ist in St. Louis Leiterin eines Barbershop-Chors. Beide haben übrigens vor vielen Jahren ein Buch über ihre deutschen Vorfahren und deren Weg nach Amerika herausgegeben.
Der Bruder John ist Missionar und Prediger, den kann man sich per Videoclip reinziehen . . . wenn ich ihn sehe, muss ich grinsen. Die Ähnlichkeit mit einem meiner "deutschen" Neffen ist beachtlich.
Ja und? Ja, das dicke Ende kommt noch. Hat doch der alte Ururgroßvater ein junges Weib gefreit [und sich noch neun Jahre daran erfreut]. Allerdings, ihre Vorfahren- und Familienlinien sind teilweise identisch – auch bezogen auf die US-Verwandten namens Bohlen und deren Nachkommen – „deine Cousine“ oder „meine Cousine“ konnte bei den beiden kein Streitthema sein! Das stimmte so oder so . . . Die US-Verwandten zählen hier doppelt!
Mein in London geborener Urgroßvater stirbt 1938 – neben mir leben derzeit noch 14 von den einst 16 seiner Urenkel-innen.
Der Name Rubart ist im Umfeld der heutigen Familien nicht mehr existent, da er ja bereits 1865 durch die dann tatsächlich noch erfolgte Heirat der beiden zuvor nach London "verreisten Sündigen" untergegangen ist.
Aus Rücksicht auf diejenigen, die in der Gegenwart in öffentlichen Funktionen tätig sind, habe ich mich mit zuordnenbaren Nachnamen zurückgehalten. "Gewisse mögliche Befindlichkeiten" bis in das Zentrum der deutschen Hauptstadt versuche ich dadurch zu vermeiden . . .