
"Ich glaube, ich bin bettreif. Total übermüdet." sagt Shirley. "Ich hab schon Halluzinationen. Da! Schon wieder! Es geht nicht mal weg, wenn ich mit dir rede!"
"Das ist Elegba." sagt Yinka.
"Wie?? Du siehst das auch?" fragt Shirley erstaunt. "Diese schwarze Babypuppe?"
"Ja, genau. Das ist Eshu, Elegba. Er ist ein Geist, ein Orisha, er gehört zu unserer Kultur. Yoruba-Kultur. Du hast ihn gerade gerufen, Shirley - und da ist er."
"Ich habe nix gerufen und ich habe auch keine Ahnung von Yoruba-Kultur."
"Doch, du hast uns doch gerade die Geschichte weiter vorgelesen. Wie der Mann Elegba ruft. Auf Spanisch.
Oh, Elegguá, tus ojos brillantes lo observan todo porque estás destinado a ver todo ahora y para siempre…" erklärt Yinka.
Der Dezember ist dieses Jahr nämlich besonders düster und kalt, und wir sitzen abends zusammen und lesen gemeinsam die Bücher, schon in Stimmung für Yalda. Dieses heißt "House of Bone and Rain" von Gabino Iglesias.
"Aber das spielt doch in Puerto Rico. Die sind doch katholisch dort, und die beten doch zu ihren ganzen Heiligen." wundert sich Shirley.
"Haha, ja, aber das ist Santería. Das kommt aus Cuba und ist heute weit über Cuba hinaus verbreitet. Da sind katholische Heilige, aber auch die Orishas der Yoruba. Sie sind einst mit den Sklaven nach Mittelamerika gelangt." sagt Yinka. "Ich hab den Text in den Translator - das kommt schon hin, das ist Elegba. Und ich freue mich, wenn auch mal was aus meiner Kultur die Welt erobert. Nicht immer nur die Weißen."
"Aber das ist doch Shirk! Götzendienst! Audhu billahi minaa shaytane rajeem. Ich habe den doch nicht angerufen! Ich habe nur die Geschichte vorgelesen!" Shirley ist ganz entsetzt. "Und auch Heilige als Mittler zwischen dir und Gott - das ist verboten, das steht auch im Qur'an! Das ist schlimm, ich hoffe, du machst sowas nicht!"
"Nein, wirklich nicht." sagt Yinka. "Wenn ich Namaz mache oder Dua, dann spüre ich doch, ich bin ganz nah bei Gott. Näher als meine Halsschlagader - so heißt es im Qur'an. Das spüre ich doch, ich käme nie auf die Idee, einen Mittler zu brauchen.
Aber Elegba existiert, und er ist jetzt da. Du siehst ihn doch auch.
Es hat was mit Kultur zu tun, und ich freue mich darüber, denn es ist meine Kultur. Und auch mal was anderes als pausenlos euren schrecklichen Nikolaus ansehen zu müssen. Das ist nämlich dasselbe, und der ist auch überall, aber ihr betet ihn ja nicht an."