
"Tamilen?" wundert sich Abdi. "Hier sind keine Tamilen. Das mag in Napoli so sein. Aber hier ist alles Bangladesh, und die sind meistens gute Muslime. Aber der Baum ist unheimlich, da hast du recht, Yinka.
Das hier ist dein Foto von vor zwei Jahren, du hast es Geisterbaum genannt. Deine Intuition ist gut. Das andere Bild, was du eben gezeigt hast, habe ich letztes Jahr gemacht. Näher wollte ich nicht rangehen, man muss die bösen Geister nicht herausfordern.
Letztes Jahr war da ein Mann aus Togo, der erzählte von einem Schlangenkult und Schlangentempeln, die sie da haben."
"Ja," sagt Yinka, "das stimmt. In Togo und in Ghana und vor allem in Benin. Auch in Nigeria gibt es die."
"Der Mann sagte, diesen Schlangenkult gibt es aber nicht nur in Afrika, der ist auch irgendwann nach Indien gelangt. Die Hindus haben das übernommen.
Und hier in unserer Nachbarschaft leben ein paar solche Inder. Einer ist aus Nagpur und hat das dem Mann erklärt. Sie setzen die Schlangen in solchen Bäumen aus, oder in Indien leben die Schlangen auch von Natur aus in solchen Bäumen. Das ist dann der Schlangenschrein, und den beten sie an und bringen auch Opfer.
Hier an der Piazza Lolli hab ich deine Besoffenen gesehen. Das sind aber Inder, keine Tamilen.
Und dann, als ich dieses Foto machen wollte, sah ich, unten am Fuß des Baumes war eine kleine Tür, blau angestrichen, mit einem kleinen weißen Zaun davor. Oh, oh, die werden doch keine Schlange da ausgesetzt haben?!
Also, das war richtig unheimlich und ich wollte dann auch nicht näher ran.
Die ganze Straße hier ist Bangladesh. Ich zähle fünf Bangladesh Shops. Obst, Gemüse, Gemischtwaren. Wie die überleben, hab ich mich gefragt.
Viele gehen da einkaufen, auch die Italiener. Da kann man nämlich anschreiben lassen. Arme Leute, Leute, die am Zehnten schon pleite sind.
Einer macht ein gutes Geschäft mit den Gasflaschen, der liefert sie prompt ins Haus. Ein anderer hatte im Ramadan auch nachts durchgehend offen.
Und der eine hier am Eck verkauft Alkohol unter der Theke. Da standen die ganzen Besoffenen immer rum. Dieses Jahr sind es aber viel weniger geworden. Ich hab einen Mann mit Bart und einer Tasbih in der Hand vor dem Laden sitzen sehen. Wenn der da ist, sind die Besoffenen verschwunden. So regelt sich das also von selbst."